P. Widmer: Minister Hans Frölicher

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Titel
Minister Hans Frölicher. Der umstrittenste Schweizer Diplomat


Autor(en)
Widmer, Paul
Erschienen
Zürich 2012: NZZ Libro
Anzahl Seiten
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Georg Kreis

Das Buch über den Gesandten, der in den Jahren 1938–1945 die Schweiz in Berlin vertreten hat, bietet eine erweiterte Überarbeitung zweier Kapitel der 1997 erschienenen Publikation «Die Schweizer Gesandtschaft in Berlin». Widmer, 1992–1999 in jenem Haus in Berlin tätig und schon 1993 Gastgeber eines Frölicher-Kolloquiums, verlängert nun die Debatte über die Stärken und Schwächen dieses Mannes. Der letzte Beitrag in der SZG stammt von Stephan Schwarz und aus 2008. Der Frölicher-Biograph gibt vor allem über seine eigene Betrachtungsweise reichlich Auskunft. Das Buch gerät in gewissen Passagen zu einer Fibel über das richtig Verständnis des Diplomatenmetiers, das sein Verfasser ja selbst betreibt (heute mit der Vertretung im Europarat): Diplomaten müssten die Interessen ihres Landes durchsetzen, dabei könne man auch Opfer der Berufsanforderungen werden, man müsse die Instruktionen der eigenen Zentrale umsetzen usw. Widmers Argument, dass man Frölicher versetzt hätte, wenn man mit ihm unzufrieden gewesen wäre, trägt allerdings dem an sich bekannten Umstand nicht Rechnung, dass dies sehr wohl erwogen, aber nicht weiter verfolgt wurde, weil man befürchtete, dass Berlin jedem Ersatzmann das Agrément verweigert hätte.

Widmer schliesst seine Ausführungen mit dem Urteil: «(Fröhlicher) zum Sündenbock zu stempeln, besteht kein Anlass; ihn zum Vorbild der Diplomatie zu erheben, aber auch nicht.» Dem Verfasser geht es vor allem um wertende Urteile und weniger um Erklärungen. So vergleicht er ausführlich Frölicher mit anderen Spitzendiplomaten, die damals dem schweizerischen Aussendienst zur Verfügung standen: mit Stucki, Rüegger, Burckhardt, und er kommt zum Schluss, dass diese nicht besser gewesen wären, später aber ebenfalls den Preis für ihre schwierigen Aufgaben hätten bezahlen müssen.

Die starke Wertungstendenz ergab sich auch aus der Absicht, ein Gegenbild zu der von Edgar Bonjour ebenfalls stark wertenden Charakterisierung Frölichers zu schaffen. Der Autor der Neutralitätsgeschichte muss sich vorwerfen lassen, mit sehr ungleichen Ellen ans Werk gegangen zu sein. Zugleich versichert Widmer, dass Bonjour «gewiss» ein bedeutender Historiker gewesen sei. Ähnlich geht er mit seiner Hauptperson um, er verteilt Anerkennung und Kritik in reichem Mass. Die Kritik (zum Beispiel an Frölichers Schweigen zu den Judenverfolgungen) hat aber vor allem die Funktion, die Anerkennung der «guten Seiten» umso glaubwürdiger erscheinen zu lassen.

Die den Verfasser nicht weiter interessierenden Erklärungen hätten beispielsweise der Frage gelten können, ob Frölichers sozialer Stand, also nicht nur seine Berufsfunktion, es ihm erschwerte, sich gegenüber dem Nationalsozialismus stärker abzugrenzen; Frölicher war in grossbürgerlichem Milieu aufgewachsen, familiär mit dem Patriziat eng verbunden, Schlossherr, Gentleman-Farmer. Dafür erfahren wir, dass sich der Gesandte im Krisenmonat August 1939 wegen Kreislaufstörungen einen Jagdurlaub im Tirol gönnt. Keine Fragen und darum auch keine Erklärung gab es ferner zum herrschenden Selbstverständnis der damaligen Aussenpolitik. Es ist schon bemerkenswert, dass man Mottas Haltung als pragmatisch und explizit als nicht weltanschaulich orientiert bezeichnen kann.

Zitierweise:
Georg Kreis,: Rezension zu: Paul Widmer: Minister Hans Frölicher. Der umstrittenste Schweizer Diplomat. Zürich, NZZ-Libro, 2012. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 63 Nr. 2, 2013, S. 299-300.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 63 Nr. 2, 2013, S. 299-300.

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